Die Silberminen von Potosi – Der Berg, der Menschen frisst

Im bolivianischen Altiplano auf mehr als 4.000 Metern, direkt neben dem mächtigen Cerro Rico, dem reichen Berg, liegt sie, die höchstgelegene Stadt Südamerikas: Potosí. Die Stadt wurde 1545 von den Spaniern als Bergbausiedlung gegründet, um den Silberreichtum des naheliegenden Berges auszubeuten. Die Silberminen lockten innerhalb kürzester Zeit über 200.000 Einwohner hierher, was Potosí damals zur größten und vor allem reichsten Stadt der Welt machte. In Europa erzählte man sich, dass die gesamte Stadt samt ihrer Straßen mit purem Silber überzogen ist und der Silberberg einen unerschöpflichen Reichtum in sich birgt. Über Jahrhunderte finanzierte dieser Silberreichtum die spanische Krone. Die berühmten Silberminen Potosi.

Die Realität in den Silberminen von Potosí war freilich eine andere. Unter Tage herrschten schier unwirkliche Bedingungen und so ließen über die Jahrhunderte acht Millionen Bergarbeiter ihr Leben. Man nennt den Cerro Rico daher auch den Berg, der Menschen frisst.

Silbermine Potosi

Als Bolivien schließlich 1825 seine Unabhängigkeit erlangte, waren die Silberminen von Potosí nahezu erschöpft und die Bevölkerung schrumpfte auf 10.000 Einwohner. Der fallende Silberpreis gab der geschröpften Stadt den Rest. Bis heute konnte sich Potosí davon nicht erholen. An den damaligen Reichtum erinnert heute im Spanischen noch die Redensart „vale un Potosí“ was soviel heißt wie „Es ist ein Vermögen wert“.

Auch wenn vom einstigen Reichtum nicht mehr viel übrig blieb, ist Potosí auch heute noch abhängig von den restlichen Silber- und Zinnvorkommen im Cerro Rico. Noch immer schuften ungefähr 15.000 Arbeiter in den Minen, darunter auch einige tausend Kinder und Jugendliche. Die Arbeitsbedingungen haben sich seit der Kolonialzeit kaum verbessert. Der Sauerstoff ist rar auf über 4.000 Metern und noch rarer in den engen und heißen Schächten der Minen.

Die Bergarbeiter bohren mit einfachsten Mitteln Löcher in das Gestein, um Dynamitstangen darin zu versenken. Jede Explosion pulverisiert den Fels und füllt die Minen mit feinem Staub. Viele rauchen unentwegt starke filterlose Zigaretten, um ihre Lungen mit Teer zu füllen. Wo Teer ist, ist kein Platz mehr für den tödlichen Staub, so ihr Glaube. Und dann gibt es noch El Tío, den Onkel. Der gehörnte Gott des Berges, der Silber gibt und Leben nimmt. Er lässt sich nur durch Kokablätter, Zigaretten oder 96-prozentigen Alkohol beschwichtigen. In jeder Mine wacht mindestens eine Tío-Figur über die Arbeiter, die mit ihr zusammen trinken und rauchen bevor sie ihre Schicht beginnen. Dennoch arbeiten sich die Leute unter diesen unwirtlichen Bedingungen sprichwörtlich zu Tode. Die wenigsten werden älter als 40 Jahre.

Silbermine Potosi

Trotz oder gerade wegen dieser Umstände ist Potosí heute ein beliebtes Ziel für Reisende, die die berüchtigten Minen mit eigenen Augen sehen wollen. Ein Unterfangen, das in Deutschland vermutlich keinen Sicherheitsbestimmungen standhalten würde.

Es gibt viele Anbieter, die Touren in die Silberminen organisieren. Ehemalige Bergarbeiter sind es, die diese Agenturen gegründet haben. Sie sind es auch, die persönlich in den Berg führen. Sie haben dort Jahre oder gar Jahrzehnte gearbeitet und kennen jeden Stollen, jede Abzweigung und jede Unebenheit.

Auch ich habe mich für eine solche Tour entschieden. Ich war mir vorab darüber bewusst, dass eine solche Tour moralisch durchaus grenzwertig sein würde. Das ist da unten kein Ort für Touristen. Das ist eine aktive Mine und in gewisser Weise stellt ein Besuch ein Eindringen in die Lebensgrundlage der Arbeiter dar. Man darf jedoch auch nicht vergessen, dass die Teilnahme an einer solchen Tour denjenigen Beschäftigung gibt, die sonst weiter in der Mine arbeiten müssten. Auch gibt es Anbieter, die einen Teil ihrer Einnahmen an Familien von Minenarbeitern spenden. Ein zweischneidiges Schwert also.

Anfang April herrscht Nebensaison in Bolivien. Daher bin ich an diesem Tag der einzige, der sich für eine Tour angemeldet hat. So habe ich mit Willi meinen ganz persönlichen Guide. Auch Willi hat – genauso wie sein Vater und sein Großvater – als Minenarbeiter im Cerro Rico gearbeitet, bevor er sich mit seiner eigenen Agentur selbständig gemacht hat.

In seinem Auto geht es schließlich vom Zentrum Potosís hoch Richtung Cerro Rico. Auf halber Strecke erreichen wir den Miners’ Market. Hier treffen sich die Minenarbeiter jeden Morgen, um das zu kaufen, was sie für ihre tägliche Arbeit dringend benötigen. Aber auch um zusammen zu frühstücken, Kokablätter zu kauen und den ersten Alkohol zu trinken.

Silbermine Potosi

Wir stoppen hier, um kleine Mitbringsel zu kaufen. Das hört sich für mich nach einer netten Geste an. In einem kleinen Laden kann ich mir die Geschenke frei aussuchen und entscheide mich auf Anraten Willis für Kokablätter, Zigaretten, Cola und Alkohol. Auf die ebenfalls freiverkäuflichen Dynamitstangen und das in Säcken abgepackte Ammoniumnitrat, das die Wirkung des Dynamits verstärken soll, verzichte ich. Hier werden wir auch mit Gummistiefeln, Schutzkleidung und Stirnlampen ausgestattet, bevor es in voller Montur weiter zum Eingang einer der rund 400 Silberminen geht.

Silbermine Potosi

Nach nur wenigen Schritten in die Mine verschwindet das restliche Tageslicht komplett und uns bleibt nur der dürftige Schein unserer Stirnlampen. Je tiefer wir gehen, desto wärmer und unheimlicher wird es. Nach kurzer Zeit erreichen auch wir einen Schrein mit einer geschmückte Tío-Figur, deren Fratze wir nur düster erahnen können. Überall liegen Kokablätter, Zigaretten und leere Plastikflaschen, in denen einst Hochprozentiges war. Dies ist also der Ort, an dem die Minenarbeiter ihre Schicht beginnen. Über Tage gläubige Christen, aber hier unten glauben sie an den Teufel, der im Berg wohnt und von dessen Gunst ihr Leben abhängt. Auch wir gehen nicht weiter, bevor wir ein paar Spritzer Alkohol und die obligatorischen Kokablätter gegen die Hoffnung auf sicheres Geleit eingetauscht haben.

Silbermine Potosi

Silbermine Potosi

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Plötzlich erzittert der Berg. Kleine Kieselchen fallen von der Decke zu Boden und wir hören mehrere Donnerschläge. Eine Starre durchläuft meinen Körper. Bricht der gesamte Cerro Rico, der mittlerweile von all den unzähligen Stollen durchlöchert ist wie ein Schweizer Käse, über uns zusammen? Haben wir zu wenig Alkohol dargeboten? Meint es Tío heute etwa nicht gut mit uns? Willi versucht mich mit der Aussage zu beruhigen, dass das nur Arbeiter sind, die ganz in der Nähe gerade Dynamitstangen in die Luft jagen, um dem Berg noch etwas Reichtum zu entreissen. So wirklich beruhigend finde ich das jedoch nicht.

Nach einem letzten Blick auf Tío geht es tiefer in den Berg. Der Boden ist mittlerweile von Wasser und Schlamm bedeckt. Die Decke wird nur spartanisch von nicht sehr vertrauensvoll wirkenden Holzbalken gestützt. Überall hängen Schläuche, durch die von außen Druckluft gepumpt wird, um die notwendigste Sauerstoffversorgung sicherzustellen und den Antrieb für die schweren Bohrmaschinen der Arbeiter zu liefern. An den Stellen wo der Sauerstoff aus den Schläuchen schießt gibt es einen ohrenbetäubenden Lärm. Die gesamte Situation wird immer unwirklicher.

Silbermine Potosi

Schließlich treffen wir auf eine kleine Gruppe von Arbeitern, die gerade damit beschäftigt sind, schwere Gesteinsbrocken in einen kastenförmigen Förderwagen zu hieven. Hier unten gibt es so gut wie keine technischen Hilfsmittel. Alles ist schwere Handarbeit. Sobald der Wagen gefüllt ist, wird er zum teils kilometerweit entfernten Ausgang geschoben. Und genau diese Abläufe sind es, die sich hier immer und immer wiederholen.

In schweißtreibender Arbeit werden Löcher in den Fels gebohrt. Diese werden mit Dynamit und Ammoniumnitrat vollgestopft. Die anschließende Explosion reißt einen Teil der massiven Felswand heraus. Und in diesen Felsbrocken befindet sich hoffentlich das, wonach hier alle suchen: Silber, Blei, Kupfer, Wolfram, Zinn oder Zink. In Wirklichkeit gibt der Berg aber nicht mehr viel her und so müssen jeden Tag unzählige dieser Förderwagen nach draussen geschafft werden, um etwas zu verdienen.

Silbermine Potosi

Jetzt ist auch der richtige Zeitpunkt, um unsere mitgebrachten Geschenke zu überreichen. Die Arbeiter kennen das schon, sind jedoch dennoch sichtbar erfreut und ich fühle mich ein wenig besser.

Wir streifen noch weiter durch die stockdunklen Schächte. Ich weiß schon längst nicht mehr, wie wir hier jemals wieder rausfinden sollen. Hier unten verliert man nach kurzer Zeit die Orientierung. Zu viele Abzweigungen gibt es hier. Immer wieder hören wir Detonationen und immer wieder erzittert der Berg. Obwohl ich mich Dank Willi nicht wirklich unsicher fühle, bleibt doch ein mulmiges Gefühl. Ich bin dann auch erleichtert, als wir nach gut 1,5 Stunden wieder Tageslicht erblicken.

Silbermine Potosi

Was also bleibt am Ende dieses Tages zu sagen? Ich bin dankbar, dass ich diese Tour machen konnte. Ich habe mich zu keiner Zeit wirklich unsicher gefühlt. Dies ist auch meinem Guide Willi zu verdanken, der sich immer versichert hat, dass es mir gut geht. Viel wichtiger jedoch, ich hatte nie das Gefühl, fehl am Platz oder gar unerwünscht zu sein. Vielmehr glaube ich, dass mein Besuch eine willkommene Abwechslung im Alltag der Arbeiter war. Ich habe gesehen, wie die Minenarbeiter trotz der Gefahren und Trostlosigkeit hier unten mit einem gewissen Stolz erfüllt sind. Stolz, Teil von Potosí’s Erbe zu sein.

Dies darf natürlich nicht über die schrecklichen Arbeitsbedingungen und andere Ungerechtigkeiten hinwegtäuschen, mit denen sich die Arbeiter und ihre Familien konfrontiert sehen. Es ist schlichtweg unvorstellbar, was die Menschen hier leisten. Ich habe viel Respekt vor den Mineros, die Tag für Tag in das Reich des Teufels hinabsteigen. Und ich hoffe, dass sie es irgendwann nicht mehr müssen.

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Ich habe die Tour in die Silberminen Potosi mit Marco Polo gemacht und kann diesen Anbieter wärmstens weiterempfehlen. Willi, der Besitzer, stammt aus einer Bergarbeiterfamilie, war selbst Minero und kennt den Cerro Rico in und auswendig.
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